Montag, 28. Februar 2022
Ein Plädoyer 2
Schon allein die Zeugenaussagen des Bäckers und des Krämers lassen erhebliche Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen. Trotz der Ermahnung, dass sie als Zeugen unter Eid stehen, blieben beide stur bei ihrer Aussage, ein rein nachbarschaftliches Verhältnis miteinander zu pflegen und den Wolf bis zu seinem Auftauchen im Ladengeschäft noch nie zuvor gesehen zu haben.
Ich bitte Sie, liebe Zuschauer, zwei absolut gleichlautende Aussagen! Das schreit doch förmlich nach Absprache.
Und beide seien angeblich nicht auf die Idee gekommen, Wolf zu fragen, was er mit Mehl und Kreide vorgehabt hätte. Ja, ich frage Sie, was sollte ein normaler Hauswolf wohl mit solchen Zutaten anfangen wollen? Hätte das nicht jeden von uns, meine Damen und Herren, misstrauisch gemacht?
Und haben nicht Bäcker und Krämer vom Einkauf profitiert? Womit hat Wolf bezahlt?
Er kann es uns nicht mehr sagen, sehr praktisch für die beiden. Könnte es also nicht möglich sein, dass Bäcker und Krämer einen Plan ausheckten, billig an Ziegenbraten zu kommen, indem sie Wolf mit Mehl und Kreide ausstatteten und ihn zum Haus der Geißen schickten, um später ihren Anteil an der Fleischbeute zu kassieren? Qui bono, wem nützt das Verbrechen?
Geben wir weiter zu bedenken, dass es eine unbestreitbare offensichtliche Gemeinsamkeit von Kreide und Mehl gibt. - Genau, die Farbe. Beide Substanzen sind weiß! Diese Gemeinsamkeit ist mehr als beweiskräftig und nun wirklich nicht von der Hand zu weisen! Leider ging der Plan schief und beide Kumpane schweigen einhellig.
Aber kommen wir nun, geschätzte Damen und Herren, zu einer weiteren Belastungszeugin der Staatsanwaltschaft, Frau Geiß. Alleinerziehende Mutter von sieben Kindern, überfordert, übermüdet, chronisch in Geldnot.
Ging sie wirklich dringenden Geschäften nach, als sie das Haus verließ oder gönnte sie sich nicht vielmehr eine kleine Auszeit von ihren Blagen?
Menschlich durchaus nachvollziehbar, aber dennoch eine sträfliche Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ihrer minderjährigen Kinder.
Oder war es vielleicht gar kein Zufall, dass sie zu dieser bestimmten Zeit das Haus verließ? Wollte sie ihre Kinder vielleicht mithilfe des Wolfes loswerden? Endlich wieder ein freies ungebundenes Leben führen, ohne die Last der Verantwortung und Versorgung der lieben Kleinen?
Denn, bedenken Sie, zu welchem Zeitpunkt die gute Frau bei ihrer Heimkehr den Notruf gewählt hat? Doch erst, als sie entdeckte, dass eins ihrer Kinder dem Wolf entkommen war. Nicht sofort und umgehend, wie es jede Mutter in Sorge täte.
Wären alle Kinder fort gewesen, wie geplant, hätte es diesen Notruf überhaupt gegeben oder hätte sich Frau Geiß einfach aus dem Staub gemacht? Wir wissen es nicht, aber solcherlei Ungereimtheiten fallen doch auf, oder etwa nicht?
Und weiterhin ist es doch seltsam, liebe Geschworene, dass ausgerechnet Herr Jäger an diesem Tag Notdienst hatte. Ein Mann, der sich qua Profession mit Wölfen auskennt. Ein Zufall oder machte Frau Geiß mit ihm gemeinsame Sache? Müssen wir hier eine Verabredung oder gar ein Verhältnis von Frau Geiß und Herrn Jäger vermuten? Versprach sie ihm einen kostbaren Wolfspelz? Denn was wäre geschehen, wenn ein anderer Dienst gehabt hätte? Der Friseur oder der Schuster beispielsweise? Säße dann der Angeklagte heute quicklebendig hier vor uns mit einer schicken Frisur oder neuen Stiefeletten anstatt in einem tiefen Brunnen zu vermodern? Und wieso war die vorgeschriebene Brunnenabdeckung verschwunden? Nachlässigkeit oder Absicht?
Ich frage noch einmal, wer ist hier eigentlich das Opfer?
Eine weitere Merkwürdigkeit. Trotz sorgfältiger Recherche meiner Kanzlei konnten wir die Herkunft und den ursprünglichen Zweck der Wackersteine, die meinen Mandanten letztlich das Leben kosteten, nicht ermitteln. Was also, zum Teufel, sollten die Wackersteine im Vorgarten der Geiß? Oder haben Sie, liebe Zuschauer, vielleicht auch immer ein paar Wackersteine parat, man weiß ja nie, wozu man die mal braucht? Ich für meinen Teil nicht. Meine Frau würde mir wohl etwas husten, wenn in unserem Garten Wackersteine auf Vorrat lägen. (Lacher im Publikum)
Doch kommen wir nun zu den Hauptbelastungszeugen...

Fortsetzung folgt

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 11. Februar 2022
Ein Plädoyer 1
Hohes Gericht,
wir bestreiten nicht die Zuständigkeit dieses internationalen Gerichtshofes in der Strafsache "Wolf und die 7 Geißlein", da in einer Vielzahl von Ländern auf nahezu allen Kontinenten außer der Antarktis, was noch zu klären wäre, Wölfe und Ziegen in mehr oder weniger friedlicher Gemeinschaft leben und daher direkt oder indirekt an diesem aufsehenerregenden Prozess lebhaft Anteil nehmen.
Wir bestreiten auch nicht den Vorwurf, dass Wolf sechs der insgesamt sieben Kinder der Frau Geiß zumindest vorübergehend gefressen hatte.
Wir bestreiten ebenfalls nicht die Tatsache, dass Wolf sich widerrechtlich Zutritt zum Haus von Mutter Geiß in deren Abwesenheit verschafft hat, indem er die Unerfahrenheit, oder sollte ich besser sagen die Dummheit der Geißensprösslinge ausnutzte, welche ihm dann allerdings freiwillig, da ohne Gewaltanwendung, ich betone nochmals, FREIWILLIG die Tür öffneten. Schon allein diese Tatsache darf man doch wohl als zumindest teilweise Einwilligung ins Gefressenwerden verstanden wissen.
Was wir allerdings vehement bestreiten, ist die Objektivität der Darstellung der Ereignisse in den Kinder-und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Dieses sogenannte Beweisstück erachten wir für tendenziös einseitig zu ungunsten des Beklagten und vor allem grundfalsch in der Festschreibung, wer in der Geschichte Täter und wer Opfer ist. Aber auf die Rolle dieses Brüder-Duos als mutmaßliche Drahtzieher des Verbrechens komme ich später noch ausführlicher zu sprechen.
Zunächst zu den offensichtlichen Ungereimtheiten. Da wären zuerst die angeblichen Motive des Angeklagten. Hunger als Motiv konnten wir ausschließen, da Wolf ja bereits nach dem Verzehr einer Ziege satt gewesen wäre. Wozu also sechs verschlingen und eine Magenverstimmung riskieren?
Die zweite Hypothese, die die Anklage mit windigen Expertenaussagen zu konstruieren versuchte, es sei eben seine wölfische Natur, arme unschuldige Tierkinder zu fressen, weisen wir noch einmal ausdrücklich als beleidigend, ewig gestrig und zutiefst rassistisch zurück. Wir führten aus, dass allein schon Wolfs Bekanntschaft mit dem Bäcker beweist, dass er sich pflanzlich ernähren wollte.
Da Wolf also keine eigenen plausiblen Motive für die Tat hatte, sollten wir mit aller Ernsthaftigkeit von einem verschleierten Komplott gegen ihn oder zumindest Anstiftung durch einen oder mehrere Dritte ausgehen.
Außerdem frage ich Sie, liebe Zuhörer, wer ist nun im Ergebnis eigentlich der Geschädigte bzw das Opfer? Mein Mandant, der Beklagte, ist tot im Gegensatz zu den quicklebendigen Geißenkindern.
Wie konnte es nun zu dieser Fehlbewertung, mein Mandant sei hier der Böse, kommen? Allein darum geht es hier, verehrte Geschworene, allein darum.

Fortsetzung folgt

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 16. Januar 2022
Neulich fiel mir,
ach du Schreck,
ein grünes Engelchen,
das sonst so keck
seine Meldung machte,
vom Fensterrahmen,
wo es wachte,
in den Dreck.

Rasch hob ich
den gefall´nen Engel
vom Boden auf
und wischt´dem Bengel
die Flügel blank.
Nun fliegt er wieder,
Gott sei Dank,
ganz ohne Mängel.

... link (0 Kommentare)   ... comment