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Dienstag, 8. März 2022
Ein Plädoyer 4
petra luise, 11:34h
Zum Ende meiner Ausführungen möchte ich noch einmal auf die unrühmliche Rolle der Brüder Grimm in diesem Fall von Verleumdung und Falschbeschuldigung zurück kommen.
Unsere Kanzlei hat keinerlei Kosten und Mühen gespart mit Hilfe einer anerkannten Spiritistin, die aus ersichtlichen Gründen unerkannt bleiben möchte, die Brüder per Séance zu befragen. Vor allem hinsichtlich ihrer vorsätzlich falschen Darstellung der Ereignisse, ihrer Urheberschaft und eventueller Anstiftungsabsichten.
Skandalöser weise bestritten sie jedoch sogar, die Urheber der Geschichte zu sein, und sagten aus, sie hätten nur niedergeschrieben, was das Volk ihnen erzählt hätte.
Das Volk! Wie praktisch! Eine anonyme Quelle! Nach der Offenlegung der Quelle befragt, konnten sich die Brüder nicht mehr erinnern: Es seien so viele gewesen.
In so einer heiklen Angelegenheit wie dieser zu scholzen, liebe Anwesende, das ist nun wirklich mehr als verdächtig. Die Brüder spekulierten leider korrekt, dass sie nach ihrem Tode nicht mehr für ihre literarischen Machwerke verantwortlich gemacht werden könnten. Ein juristisches Schlupfloch, dass dringend geschlossen werden sollte.
Nach diesen Darlegungen bin ich nun sicher, liebe geehrte Verschworene, dass Sie die Ansicht der Verteidigung teilen, dass es nicht nur handfeste begründete Zweifel gibt an der Schuld meines Mandanten, des leider viel zu früh von uns gegangenen Herrn Innozenz Wolf, sondern dass er darüber hinaus auch das Opfer einer heimtückischen Intrige geworden ist, deren Drahtzieher, Hintermänner und Hinterziegen im Dunkeln blieben. Die ganze Wahrheit über die Unschuld von Herrn Wolf und die tatsächlichen Ereignisse des betreffenden Tages können wohl niemals vollständig aufgeklärt werden.
Wir bitten Sie inständig, Herrn Wolf vom Vorwurf des versuchten Massenmordes freizusprechen und ihn - leider nur post mortem, aber immerhin - zu rehabilitieren und seinen guten Ruf, auch im Namen seiner Artgenossen, wieder herzustellen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

P.S: Lesen fördert Kriminalität!
Vertrauen Sie zu Ihrer Unterhaltung lieber auf unser von Ihren Gebühren finanziertes betreutes Fernsehprogramm mit garantiertem Kinder- und Seniorenschutz durch FSK.
Ihr Ministerium für Schafzucht, Jägerei, veganes Leben, Binnen- und Außenhandel, Finanzen, Klimaschutz, Brunnenbau, menschliche und pseudomenschliche Artenvielfalt, Migration aller Art, Förderung der Fahrradnutzung & Sonstiges
Unsere Kanzlei hat keinerlei Kosten und Mühen gespart mit Hilfe einer anerkannten Spiritistin, die aus ersichtlichen Gründen unerkannt bleiben möchte, die Brüder per Séance zu befragen. Vor allem hinsichtlich ihrer vorsätzlich falschen Darstellung der Ereignisse, ihrer Urheberschaft und eventueller Anstiftungsabsichten.
Skandalöser weise bestritten sie jedoch sogar, die Urheber der Geschichte zu sein, und sagten aus, sie hätten nur niedergeschrieben, was das Volk ihnen erzählt hätte.
Das Volk! Wie praktisch! Eine anonyme Quelle! Nach der Offenlegung der Quelle befragt, konnten sich die Brüder nicht mehr erinnern: Es seien so viele gewesen.
In so einer heiklen Angelegenheit wie dieser zu scholzen, liebe Anwesende, das ist nun wirklich mehr als verdächtig. Die Brüder spekulierten leider korrekt, dass sie nach ihrem Tode nicht mehr für ihre literarischen Machwerke verantwortlich gemacht werden könnten. Ein juristisches Schlupfloch, dass dringend geschlossen werden sollte.
Nach diesen Darlegungen bin ich nun sicher, liebe geehrte Verschworene, dass Sie die Ansicht der Verteidigung teilen, dass es nicht nur handfeste begründete Zweifel gibt an der Schuld meines Mandanten, des leider viel zu früh von uns gegangenen Herrn Innozenz Wolf, sondern dass er darüber hinaus auch das Opfer einer heimtückischen Intrige geworden ist, deren Drahtzieher, Hintermänner und Hinterziegen im Dunkeln blieben. Die ganze Wahrheit über die Unschuld von Herrn Wolf und die tatsächlichen Ereignisse des betreffenden Tages können wohl niemals vollständig aufgeklärt werden.
Wir bitten Sie inständig, Herrn Wolf vom Vorwurf des versuchten Massenmordes freizusprechen und ihn - leider nur post mortem, aber immerhin - zu rehabilitieren und seinen guten Ruf, auch im Namen seiner Artgenossen, wieder herzustellen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

P.S: Lesen fördert Kriminalität!
Vertrauen Sie zu Ihrer Unterhaltung lieber auf unser von Ihren Gebühren finanziertes betreutes Fernsehprogramm mit garantiertem Kinder- und Seniorenschutz durch FSK.
Ihr Ministerium für Schafzucht, Jägerei, veganes Leben, Binnen- und Außenhandel, Finanzen, Klimaschutz, Brunnenbau, menschliche und pseudomenschliche Artenvielfalt, Migration aller Art, Förderung der Fahrradnutzung & Sonstiges
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Donnerstag, 3. März 2022
Ein Plädoyer 3
petra luise, 12:32h
So unangenehm es mir auch ist, ist es dennoch meine Pflicht als Verteidiger, auch die dubiose Rolle der Hauptbelastungszeugen, nämlich der süßen, kleinen Geißlein, anzusprechen. Sie sind klein, ja, soweit so gut, aber sind es wirklich Kinder?
Geburtsurkunden existieren ebenso wenig wie Vaterschaftsnachweise. Wir müssen uns also allein auf das Wort dieser, wie festgestellt, wenig verantwortungsvollen Mutter verlassen, dass diese sieben kleinen Ziegen, die vor uns sitzen, ihre leiblichen Kinder sind und nicht zum Beispiel eine hergelaufene Bande von erwachsenen Zwergziegen.
Nun gut, glauben wir für den Moment, es handelt sich tatsächlich um Kinder. Aber müssen diese zwangsläufig unschuldig sein? Nur weil sie Kinder sind?
Sicherlich sind einige von Ihnen in Großfamilien aufgewachsen, mit vielen Geschwistern. Gehört es da nicht zum Alltag, dass es kleine Eifersüchteleien gibt und Neidereien, wenn es um das letzte Stückchen Torte geht zum Beispiel oder ein Spielzeug?
Harmlose Balgereien unter liebevollen Geschwistern, sagen Sie. Ja, ich sehe einige von Ihnen lächeln. Und so ist es gewiss in der überwältigenden Mehrzahl der Familien. Und das Jüngste fühlte sich immer am meisten benachteiligt. Das verwächst sich, normalerweise.
Allerdings belegen Studien, dass in westlichen Industriegesellschaften erschreckende 15% der Bevölkerung zu soziopathischem Verhalten neigen.
Das ist Fakt.
Und angenommen eines ihrer putzigen sieben Kinder erweist sich als Soziopath? Würden Sie das merken? Würden Sie es solange verdrängen, bis es durch kriminelles Verhalten nicht mehr zu leugnen wäre? Und ihr Schätzchen ersänne aus Eifersucht den Plan, seine sechs Geschwister auf elegante Art loszuwerden, wäre es da nicht eine vorzügliche Idee, so etwas einem Wolf in die Schuhe zu schieben?
Wir können auch diese Hypothese, so unangenehm sie uns auch ist, nicht für gänzlich unmöglich halten.
15%. Denken Sie einmal darüber nach. Die Wissenschaft lügt nicht, im Gegensatz zu Zeugen und Verschwörern.
Eine weitere Merkwürdigkeit im Hause Geiß: Wieso gab es nur einen einzigen Panikraum, mit Platz für nur ein Kind und das bei insgesamt sieben Kindern?
Als hätte man aus dem Untergang der Titanic nichts gelernt. Rettungsboote für alle Passagiere sind seither Pflicht.
Sollte vielleicht nur ein Kind überleben? Und vielleicht ein bestimmtes, nämlich das einziges, das in den Panikraum im Uhrkasten aufgrund seiner Größe passt? Ein schrecklicher Verdacht, ich weiß. Aber ist das alles wirklich Zufall?
Was sagten diese angeblichen Kinder vor Gericht also aus? Sie hätten meistens gespielt und den Wolf nicht erkannt, als er mit Piepsstimme und weißer Mehlpfote angeklopft hatte.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gespielt? Was denn? Mit Bauklötzen oder doch mit Wackersteinen? Oder haben sie gepokert um den Platz im Uhrkasten? Wir wissen es nicht, da sich die Zeugen mit reichlich Rotz und Wasser und Tränengeheul theatralisch aus der Affäre gezogen haben.
Wir können aber festhalten, dass sie entweder zu dämlich waren, um ihre eigene Mutter von einem Wolf zu unterscheiden. Da greift dann wohl das Recht des Dschungels oder aber, da ging etwas ganz anderes vor sich. Was das war, das überlasse ich Ihrer Vorstellungskraft, liebe Anwesende und machen wir doch hier eine kurze Pause, bevor ich zum Ende komme.
Fortsetzung folgt

Geburtsurkunden existieren ebenso wenig wie Vaterschaftsnachweise. Wir müssen uns also allein auf das Wort dieser, wie festgestellt, wenig verantwortungsvollen Mutter verlassen, dass diese sieben kleinen Ziegen, die vor uns sitzen, ihre leiblichen Kinder sind und nicht zum Beispiel eine hergelaufene Bande von erwachsenen Zwergziegen.
Nun gut, glauben wir für den Moment, es handelt sich tatsächlich um Kinder. Aber müssen diese zwangsläufig unschuldig sein? Nur weil sie Kinder sind?
Sicherlich sind einige von Ihnen in Großfamilien aufgewachsen, mit vielen Geschwistern. Gehört es da nicht zum Alltag, dass es kleine Eifersüchteleien gibt und Neidereien, wenn es um das letzte Stückchen Torte geht zum Beispiel oder ein Spielzeug?
Harmlose Balgereien unter liebevollen Geschwistern, sagen Sie. Ja, ich sehe einige von Ihnen lächeln. Und so ist es gewiss in der überwältigenden Mehrzahl der Familien. Und das Jüngste fühlte sich immer am meisten benachteiligt. Das verwächst sich, normalerweise.
Allerdings belegen Studien, dass in westlichen Industriegesellschaften erschreckende 15% der Bevölkerung zu soziopathischem Verhalten neigen.
Das ist Fakt.
Und angenommen eines ihrer putzigen sieben Kinder erweist sich als Soziopath? Würden Sie das merken? Würden Sie es solange verdrängen, bis es durch kriminelles Verhalten nicht mehr zu leugnen wäre? Und ihr Schätzchen ersänne aus Eifersucht den Plan, seine sechs Geschwister auf elegante Art loszuwerden, wäre es da nicht eine vorzügliche Idee, so etwas einem Wolf in die Schuhe zu schieben?
Wir können auch diese Hypothese, so unangenehm sie uns auch ist, nicht für gänzlich unmöglich halten.
15%. Denken Sie einmal darüber nach. Die Wissenschaft lügt nicht, im Gegensatz zu Zeugen und Verschwörern.
Eine weitere Merkwürdigkeit im Hause Geiß: Wieso gab es nur einen einzigen Panikraum, mit Platz für nur ein Kind und das bei insgesamt sieben Kindern?
Als hätte man aus dem Untergang der Titanic nichts gelernt. Rettungsboote für alle Passagiere sind seither Pflicht.
Sollte vielleicht nur ein Kind überleben? Und vielleicht ein bestimmtes, nämlich das einziges, das in den Panikraum im Uhrkasten aufgrund seiner Größe passt? Ein schrecklicher Verdacht, ich weiß. Aber ist das alles wirklich Zufall?
Was sagten diese angeblichen Kinder vor Gericht also aus? Sie hätten meistens gespielt und den Wolf nicht erkannt, als er mit Piepsstimme und weißer Mehlpfote angeklopft hatte.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, gespielt? Was denn? Mit Bauklötzen oder doch mit Wackersteinen? Oder haben sie gepokert um den Platz im Uhrkasten? Wir wissen es nicht, da sich die Zeugen mit reichlich Rotz und Wasser und Tränengeheul theatralisch aus der Affäre gezogen haben.
Wir können aber festhalten, dass sie entweder zu dämlich waren, um ihre eigene Mutter von einem Wolf zu unterscheiden. Da greift dann wohl das Recht des Dschungels oder aber, da ging etwas ganz anderes vor sich. Was das war, das überlasse ich Ihrer Vorstellungskraft, liebe Anwesende und machen wir doch hier eine kurze Pause, bevor ich zum Ende komme.
Fortsetzung folgt

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Montag, 28. Februar 2022
Ein Plädoyer 2
petra luise, 10:55h
Schon allein die Zeugenaussagen des Bäckers und des Krämers lassen erhebliche Zweifel an ihrer Richtigkeit aufkommen. Trotz der Ermahnung, dass sie als Zeugen unter Eid stehen, blieben beide stur bei ihrer Aussage, ein rein nachbarschaftliches Verhältnis miteinander zu pflegen und den Wolf bis zu seinem Auftauchen im Ladengeschäft noch nie zuvor gesehen zu haben.
Ich bitte Sie, liebe Zuschauer, zwei absolut gleichlautende Aussagen! Das schreit doch förmlich nach Absprache.
Und beide seien angeblich nicht auf die Idee gekommen, Wolf zu fragen, was er mit Mehl und Kreide vorgehabt hätte. Ja, ich frage Sie, was sollte ein normaler Hauswolf wohl mit solchen Zutaten anfangen wollen? Hätte das nicht jeden von uns, meine Damen und Herren, misstrauisch gemacht?
Und haben nicht Bäcker und Krämer vom Einkauf profitiert? Womit hat Wolf bezahlt?
Er kann es uns nicht mehr sagen, sehr praktisch für die beiden. Könnte es also nicht möglich sein, dass Bäcker und Krämer einen Plan ausheckten, billig an Ziegenbraten zu kommen, indem sie Wolf mit Mehl und Kreide ausstatteten und ihn zum Haus der Geißen schickten, um später ihren Anteil an der Fleischbeute zu kassieren? Qui bono, wem nützt das Verbrechen?
Geben wir weiter zu bedenken, dass es eine unbestreitbare offensichtliche Gemeinsamkeit von Kreide und Mehl gibt. - Genau, die Farbe. Beide Substanzen sind weiß! Diese Gemeinsamkeit ist mehr als beweiskräftig und nun wirklich nicht von der Hand zu weisen! Leider ging der Plan schief und beide Kumpane schweigen einhellig.
Aber kommen wir nun, geschätzte Damen und Herren, zu einer weiteren Belastungszeugin der Staatsanwaltschaft, Frau Geiß. Alleinerziehende Mutter von sieben Kindern, überfordert, übermüdet, chronisch in Geldnot.
Ging sie wirklich dringenden Geschäften nach, als sie das Haus verließ oder gönnte sie sich nicht vielmehr eine kleine Auszeit von ihren Blagen?
Menschlich durchaus nachvollziehbar, aber dennoch eine sträfliche Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ihrer minderjährigen Kinder.
Oder war es vielleicht gar kein Zufall, dass sie zu dieser bestimmten Zeit das Haus verließ? Wollte sie ihre Kinder vielleicht mithilfe des Wolfes loswerden? Endlich wieder ein freies ungebundenes Leben führen, ohne die Last der Verantwortung und Versorgung der lieben Kleinen?
Denn, bedenken Sie, zu welchem Zeitpunkt die gute Frau bei ihrer Heimkehr den Notruf gewählt hat? Doch erst, als sie entdeckte, dass eins ihrer Kinder dem Wolf entkommen war. Nicht sofort und umgehend, wie es jede Mutter in Sorge täte.
Wären alle Kinder fort gewesen, wie geplant, hätte es diesen Notruf überhaupt gegeben oder hätte sich Frau Geiß einfach aus dem Staub gemacht? Wir wissen es nicht, aber solcherlei Ungereimtheiten fallen doch auf, oder etwa nicht?
Und weiterhin ist es doch seltsam, liebe Geschworene, dass ausgerechnet Herr Jäger an diesem Tag Notdienst hatte. Ein Mann, der sich qua Profession mit Wölfen auskennt. Ein Zufall oder machte Frau Geiß mit ihm gemeinsame Sache? Müssen wir hier eine Verabredung oder gar ein Verhältnis von Frau Geiß und Herrn Jäger vermuten? Versprach sie ihm einen kostbaren Wolfspelz? Denn was wäre geschehen, wenn ein anderer Dienst gehabt hätte? Der Friseur oder der Schuster beispielsweise? Säße dann der Angeklagte heute quicklebendig hier vor uns mit einer schicken Frisur oder neuen Stiefeletten anstatt in einem tiefen Brunnen zu vermodern? Und wieso war die vorgeschriebene Brunnenabdeckung verschwunden? Nachlässigkeit oder Absicht?
Ich frage noch einmal, wer ist hier eigentlich das Opfer?
Eine weitere Merkwürdigkeit. Trotz sorgfältiger Recherche meiner Kanzlei konnten wir die Herkunft und den ursprünglichen Zweck der Wackersteine, die meinen Mandanten letztlich das Leben kosteten, nicht ermitteln. Was also, zum Teufel, sollten die Wackersteine im Vorgarten der Geiß? Oder haben Sie, liebe Zuschauer, vielleicht auch immer ein paar Wackersteine parat, man weiß ja nie, wozu man die mal braucht? Ich für meinen Teil nicht. Meine Frau würde mir wohl etwas husten, wenn in unserem Garten Wackersteine auf Vorrat lägen. (Lacher im Publikum)
Doch kommen wir nun zu den Hauptbelastungszeugen...
Fortsetzung folgt

Ich bitte Sie, liebe Zuschauer, zwei absolut gleichlautende Aussagen! Das schreit doch förmlich nach Absprache.
Und beide seien angeblich nicht auf die Idee gekommen, Wolf zu fragen, was er mit Mehl und Kreide vorgehabt hätte. Ja, ich frage Sie, was sollte ein normaler Hauswolf wohl mit solchen Zutaten anfangen wollen? Hätte das nicht jeden von uns, meine Damen und Herren, misstrauisch gemacht?
Und haben nicht Bäcker und Krämer vom Einkauf profitiert? Womit hat Wolf bezahlt?
Er kann es uns nicht mehr sagen, sehr praktisch für die beiden. Könnte es also nicht möglich sein, dass Bäcker und Krämer einen Plan ausheckten, billig an Ziegenbraten zu kommen, indem sie Wolf mit Mehl und Kreide ausstatteten und ihn zum Haus der Geißen schickten, um später ihren Anteil an der Fleischbeute zu kassieren? Qui bono, wem nützt das Verbrechen?
Geben wir weiter zu bedenken, dass es eine unbestreitbare offensichtliche Gemeinsamkeit von Kreide und Mehl gibt. - Genau, die Farbe. Beide Substanzen sind weiß! Diese Gemeinsamkeit ist mehr als beweiskräftig und nun wirklich nicht von der Hand zu weisen! Leider ging der Plan schief und beide Kumpane schweigen einhellig.
Aber kommen wir nun, geschätzte Damen und Herren, zu einer weiteren Belastungszeugin der Staatsanwaltschaft, Frau Geiß. Alleinerziehende Mutter von sieben Kindern, überfordert, übermüdet, chronisch in Geldnot.
Ging sie wirklich dringenden Geschäften nach, als sie das Haus verließ oder gönnte sie sich nicht vielmehr eine kleine Auszeit von ihren Blagen?
Menschlich durchaus nachvollziehbar, aber dennoch eine sträfliche Vernachlässigung der Aufsichtspflicht ihrer minderjährigen Kinder.
Oder war es vielleicht gar kein Zufall, dass sie zu dieser bestimmten Zeit das Haus verließ? Wollte sie ihre Kinder vielleicht mithilfe des Wolfes loswerden? Endlich wieder ein freies ungebundenes Leben führen, ohne die Last der Verantwortung und Versorgung der lieben Kleinen?
Denn, bedenken Sie, zu welchem Zeitpunkt die gute Frau bei ihrer Heimkehr den Notruf gewählt hat? Doch erst, als sie entdeckte, dass eins ihrer Kinder dem Wolf entkommen war. Nicht sofort und umgehend, wie es jede Mutter in Sorge täte.
Wären alle Kinder fort gewesen, wie geplant, hätte es diesen Notruf überhaupt gegeben oder hätte sich Frau Geiß einfach aus dem Staub gemacht? Wir wissen es nicht, aber solcherlei Ungereimtheiten fallen doch auf, oder etwa nicht?
Und weiterhin ist es doch seltsam, liebe Geschworene, dass ausgerechnet Herr Jäger an diesem Tag Notdienst hatte. Ein Mann, der sich qua Profession mit Wölfen auskennt. Ein Zufall oder machte Frau Geiß mit ihm gemeinsame Sache? Müssen wir hier eine Verabredung oder gar ein Verhältnis von Frau Geiß und Herrn Jäger vermuten? Versprach sie ihm einen kostbaren Wolfspelz? Denn was wäre geschehen, wenn ein anderer Dienst gehabt hätte? Der Friseur oder der Schuster beispielsweise? Säße dann der Angeklagte heute quicklebendig hier vor uns mit einer schicken Frisur oder neuen Stiefeletten anstatt in einem tiefen Brunnen zu vermodern? Und wieso war die vorgeschriebene Brunnenabdeckung verschwunden? Nachlässigkeit oder Absicht?
Ich frage noch einmal, wer ist hier eigentlich das Opfer?
Eine weitere Merkwürdigkeit. Trotz sorgfältiger Recherche meiner Kanzlei konnten wir die Herkunft und den ursprünglichen Zweck der Wackersteine, die meinen Mandanten letztlich das Leben kosteten, nicht ermitteln. Was also, zum Teufel, sollten die Wackersteine im Vorgarten der Geiß? Oder haben Sie, liebe Zuschauer, vielleicht auch immer ein paar Wackersteine parat, man weiß ja nie, wozu man die mal braucht? Ich für meinen Teil nicht. Meine Frau würde mir wohl etwas husten, wenn in unserem Garten Wackersteine auf Vorrat lägen. (Lacher im Publikum)
Doch kommen wir nun zu den Hauptbelastungszeugen...
Fortsetzung folgt

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